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Wirtschaftswunder - eigenes Erleben
Ich wurde in Gmunden, einer Kleinstadt im ländlichen Raum in Oberösterreich, geboren und aufgewachsen. Dort verlief das Wirtschaftswunder etwas anders, vor allem zeitlich, um einige Jahre nach hinten versetzt als, in der Bundesrepublik.
Zunächst einige währungspolitische Erklärungen.
Das geschichtliche Grundwissen dazu habe ich im Gymnasium beigebracht bekommen.
Als Folge des Auseinanderfallens der Donaumonarchie 1918 wurde in Österreich 1925 die alte Währung Krone durch den neuen Schilling ersetzt.
Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 wurde sofort die deutsche Reichsmark eingeführt. 1,5 Öst. Schilling ergaben 1,0 Reichsmark.
Nach Kriegsende 1945 wurde in dem neugegründeten Österreich sofort der alte Schilling wieder eingeführt. Am 30. 11. 1945 wurde die Reichsmark im Verhältnis 1: 1 umgetauscht. Das galt nur bis zu einem Betrag von 150 Reichsmark. Der Rest der Guthaben wurde auf Sperrkonten gelegt. Hier im Verhältnis 3: 1. Das war natürlich noch keine Währungsreform.
1947 wurde der Schilling auf ein Drittel abgewertet, um Mittel aus dem US-Marshallplan zu erhalten. Die Preise in Österreich stiegen sofort auf das Dreifache.
In Westdeutschland (allerdings nicht in der Sowjet-Zone) fand die Währungsreform am 20. 6. 1948 mit der Verteilung des berühmten Kopfgeldes in Höhe von 40 DM für jeden statt.
Ein schnelles Wirtschaftswunder wie in Westdeutschland setzte in Österreich nicht ein. Es gab dafür mehrere Gründe: Der neue Schilling galt zwar in allen 4 Zonen Österreichs, also auch in der sowjetisch besetzten Zone. Dort versuchten die Russen, eine Art Planwirtschaft einzuführen, und demontierten außerdem eifrig Industrieanlagen. Die Randlage Österreichs am Ende der freien Welt war sicher ein weiteres Hindernis. Ungeklärt war lange ob und wann die Sowjets aus ihrer Besatzungszone abziehen würden. Ende 1955 war es dann so weit. Der letzte russische Soldat verließ Österreich. Dann erst setzte der für einen Aufschwung so erforderliche Optimismus ein.
Für West-Deutschland wird die Wirtschaftswunderzeit von 1948 bis 1960 geschätzt.
Für Österreich von 1955 bis 1975.
Die etwas anderen Zeiträume sind wichtig, um den Ablauf der eigenen Erlebnisse besser einordnen zu können.
Sonst gab es in beiden Ländern viele vergleichbare Entwicklungen. Vergleichbar in Italien, nur dort hieß es "Miracolo Economico".
Nun zu meinen persönlichen Erinnerungen an diese Zeit in einer Kleinstadt im ländlichen Raum, in der amerikanischen Zone.
1. Gmunden war verwaltungsmäßig eine Kreisstadt. Daher gab es in der Stadt ein kleines Amerika-Haus. In einem Saal wurden amerikanische Spiel und Werbefilme gezeigt, die natürlich den Way of Life in den USA zeigen sollten. Wir Jungs aus unserem Freundeskreis gingen dort öfters hin. Fernsehen zu Hause gab es noch nicht und das örtliche Kino war jenseits der Möglichkeiten des bescheidenen Taschengeldes.
Natürlich war uns klar, dass das Propaganda und Werbefilme waren.
Im ländlichen Raum rund um Gmunden sah man damals noch viele Pferdewagen auf den Straßen, Feldarbeit wurde fast ausschließlich mit Pferdekraft betrieben. Die Flächen der Bauernhöfe waren eher kleinteilig.
Und dann sahen wir auf der Leinwand mit staunenden Augen die riesigen Flächen des mittleren Westens der USA, mit enorm breiten Mähdreschern die vollautomatisch das bereits gedroschene
Getreide über Verladerohre in daneben fahrende Lastwagen schütteten. Ein Bild fast wie aus einer anderen Welt, aber doch auch ein Versprechen – so könnte es bei uns bald auch sein. 25 Jahre später war es dort, wo die Bodenverhältnisse es zuließen auch bei uns fast so weit.
Ich habe damals noch mit großen, technisch interessierten Augen, beobachtet wie bei Bauern in der Umgebung damals noch Getreide gedroschen wurde. Erst vom Feld geerntet, mit Pferdewagen natürlich. Halme und Ähren ungetrennt, dann in die Scheune des Bauernhofes gebracht. Einige Zeit später kam das bestellte Dreschfahrzeug des lokalen Maschinenringes. Es bedurfte etwa zwei Tage und der vollen Einsatzkraft aller am Hof befindlichen Arbeitskräfte (Betrachtung für einen mittelgroßen Bauernhof des Alpenvorlandes), um die Ernte in die Maschine zu befördern. Anschließend wurde dann das Stroh, ohne Körner, wieder in die Scheune für den Winter als Streu für das Vieh gebracht. Die Körner, also die eigentliche Ernte, wurde extra gelagert. Es staubte fürchterlich und war eine richtige Knochenarbeit.
Was für ein Unterschied zu den in den Filmen gezeigten Hightech-Erntemaschinen.
2. Im ländlichen Raum wurde nicht so gehungert wie hier im Ruhrgebiet, aber Lebensmittel waren auch dort immer knapp und kostbar. Gab es zu besonderen Anlässen ein Stück Kuchen, dann lag auf dem Teller, mehr zur Erinnerung an bessere Zeiten, nur ein kleines Tüpfelchen Schlagsahne. Erst Anfang der 1960er-Jahre hieß es dann: "Möchtest Du noch mehr Schlagsahne?" Ein voller Sahnelöffel klatschte auf den Teller. Es durften auch zwei sein.
Da hatte das Wirtschaftswunder seine Spuren hinterlassen.
3. In dem Gasthof, der von meiner Mutter und ihren beiden Schwestern betrieben wurde – 2 der Männer blieben im Krieg, mein Vater war schwer krank, lebten 9 Kinder, jedes Jahr war eines geboren worden. Ich war der Zweitjüngste von dieser Kinderschar. Wie damals üblich wurden Kleidungsstücke von den Größeren, heranwachsenden an die Jungen weitergegeben. Ein bisschen Umnähen, kleinere Änderungen und schon passte es für den Nächsten. Mir war das zuwider, aber Auswege gab es aus Kostengründen nicht.
Ich war wohl 13 oder 14 Jahre alt (also Ende der 1950er-Jahre) als es auf einmal von der Mutter hieß: "Wie siehst Du denn schon wieder aus?" In den nächsten Tagen besuchte sie mit mir in ein Bekleidungsgeschäft und kaufte für mich eine neue Hose. Nur für mich alleine!! Mann, was war ich stolz!! Ein weiteres Zeichen dafür, dass es zunehmend wirtschaftlich besser wurde!
4. Autos gab es zunehmend mehr, aber nur für Geschäftszwecke oder zum Warentransport. Natürlich durfte ich auch gelegentlich mitfahren, aber das war klar die Ausnahme.
Ein Sportkollege, stets ein lustiger Kerl und für viel Unsinn gut, lieferte folgende Episode. Er war etwa 5 Jahre älter wie ich und schon im Baugewerbe berufstätig. Nicht als Maurer, sondern als Baumeister oder so. Dazu hatte er ein Auto, um die diversen Baustellen zu besuchen. So in den Jahren 1962 – 1965 nahm er mal im Frühsommer zwei, drei von uns Sportkollegen mit zu einer spontanen Spritztour.
Die Fenster offen, die Arme lässig hinaushängend – das galt damals als besonders cool! - und sonst nur fröhlich blödelnd durch die Gegend fahren. Nicht zweckgebunden, sondern nur aus Jux und Tollerei. Das war ein Gefühl von Freiheit und Luxus!
5. Der Gasthof meiner Eltern, Gastwirtschaft und Fremdenzimmer, war bei Kriegsende technisch reichlich veraltet. In der wirtschaftlich extrem schwierigen Zwischenkriegszeit konnte nichts investiert werden. Man war froh den Betrieb überhaupt halten zu können.
Anfang der 1950er-Jahre wurden die ersten Renovierungen und Modernisierungsmaßnahmen unternommen. Immer in kleinen Schritten, so wie es die Gewerbeaufsicht verlangte, die Geschäftslage hergab und die Banken Kredite gaben. Auch in der für einen Gasthof entscheidend wichtigen Küche gab es langsam neue Geräte, aber der Hauptherd blieb bis zum Schluss kohlebefeuert. Er wurde allerdings einmal erneuert und neu gesetzt. An derselben Stelle, aber mit neuen Feuersteinen (Schamottesteine) innen und einer verbesserten Luftführung. Was für ein Aufwand und Dreck – die Küche war zwei Wochen stillgelegt. Er heizte aber stets hervorragend. Bis zum Verkauf im Jahre 1969 und auch später noch erfüllte er seinen Zweck, denn der Kohleofen gab gute, gleichmäßige Wärme. Köstlich und wichtig für alle Braten etc. Durch die erfolgten Modernisierungsmaßnahmen konnte der Gasthof einigermaßen mit der lokalen Konkurrenz Schritt halten.
6. Im Zuge der Modernisierungsmaßnahmen wurde der große, aber überwiegend nur als Wäschetrockenraum genutzte Dachboden etwas ausgebaut. Zwei der Mitbesitzerinnen (die Schwestern meiner Mutter) bekamen dort oben eigene Zimmer mit Sanitäranlagen. Nachdem meine älteste Schwester aus ihrem Zimmer im Dachbodenbereich ausgezogen war, durfte ich in ihr Zimmer einziehen. Keine 10 Quadratmeter groß, aber meins! Wasser gab es keines, die Toilette lag einen Stock tiefer, aber ich war selig. Später, in meiner Wehrdienstzeit beim öst. Bundesheer lernte ich aus Gesprächen mit Kameraden was für ein Luxus ein eigenes Zimmer für junge Männer noch im Jahre 1963 in weiten Teilen der Bevölkerung war.
Über die Jahre des kontinuierlichen wirtschaftlichen Aufschwungs glichen sich die Lebensverhältnisse langsam denen in der Bundesrepublik an.
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